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B u ch - R e z e n s i o n  z u:

Klaus Müller

Auf Abwegen:

Von der Kunst der Ökonomen, sich selbst zu täuschen

2019



Was sich wie ein Vorhaben ausnimmt, die theoretische Nationalökonomie mit dem Aufzeigen ihrer Paradoxien einer grundsätzlichen Fehlerhaftigkeit ihres Denkens zu überführen, relativiert sich bei genauerem Hinsehen dessen, wie Müller, noch getrennt von den Befassungen mit den ökonomischen Gegenständen en detail, dieser Verfehlungen in nicht weniger zweifelhafter methodischer Art nachsagt.

Der Autor hebt so an, als ob eine Generalabrechnung mit den verkehrten Weltbildern und Modellen der herrschenden Volkswirtschaftslehre anstünde:

„Wohin man blickt: die Begriffe unterschiedlich, die Modelle einseitig, die Standpunkte unverrückbar und verbreitet der Verzicht, das Wesen in den Erscheinungen zu suchen... Sie sehen, was sie sehen wollen. Sie wollen sehen, was ihnen gefällt. Ihnen gefällt, was in ihr Weltbild passt. Wer ihre Lehren studiert, stößt auf viel Widersprüchliches und Paradoxes. Er begibt sich in die Gefahr, getäuscht zu werden. Klaus Müller setzt sich auseinander mit den Trugbildern und Wirrnissen einer Wirtschaftswissenschaft, die um ihr Selbstverständnis ringt.“
(dieses und nachfolgende Zitate aus der Einleitung zu dem Buch „Auf Abwegen“)

Das „zersplitterte Denken“ lässt für M. keinen Schluss darauf fällig werden, dass parteiliche Sicht auf die ökonomische Realität des Kapitalismus n o t w e n d i g  einander Widersprechendes und damit je für sich Verkehrtes offenbart. Nein, jetzt wird es tautologisch: das „zerfaserte Denken“ begründe sich aus einer ebenbürtigen „Variantenvielfalt ökonomischer Erscheinungen.
Also: nicht wie sie interessengeleitet statt objektiv Lohn, Preis, Kapital und Profit angehen, wird hier moniert, sondern fast schon entschuldigend sei das Vielfältige an der bürgerlichen Wirklichkeit verantwortlich für die Interpretationsvielheit in der Volkswirtschaftslehre:

„Neben Privatinteressen, Missverständnissen, Ehrgeiz und Missgunst gibt es zwei weitere Gründe dafür, dass die Realität verschieden interpretiert wird. Erstens hat das zersplitterte Denken, die Konkurrenz der Auffassungen über ökonomische Sachverhalte mit der Beschaffenheit der objektiven Realität zu tun. Die Wirkungs- und Variantenvielfalt ökonomischer Erscheinungen ist enorm. Sie ist quasi die »materielle Grundlage« für das zerfaserte Denken über sie.“

Abgesehen davon: was hat das Abstraktum „Variantenvielfalt ökonomischer Erscheinungen“ der Sache nach mit dem Pluralismus akademischer Lehren zu tun? Das diesen Auszeichnende und streng genommen Unwissenschaftliche meint differierende Aussagen zu der jeweils in Rede stehenden konkreten ‚Erscheinung‘, was sich dann auch noch entlang aller möglichen anderen Gegenstände des ökonomischen Lebens ausbreitet. Oder in den Worten des Volkwirtschaftslehre-Kritikers: das sich gegenseitig Ausschließende in dieser Lehre kommt daher, dass statt unvoreingenommene Herangehensweise das Prinzip waltet: man sieht es, wie man es sehen will oder „einem gefällt“.

Wie Wissenschaft von der bürgerlichen Ökonomie nach M. 'rational' vorzugehen habe, entpuppt sich als etwas, was im Grunde die gesamte Sozialwissenschaftlichergarde im herrschenden Akademikerbetrieb antreibt, nämlich eine Sorte Vorschriftenwesen, wie man sich seinem Gegenstand der Betrachtung zu nähern habe:

„....Die meisten Ökonomen versuchen nicht, die ökonomische Welt zu begreifen, wie sie existiert: komplex und ganzheitlich, in unaufhörlicher, wechselseitiger Beeinflussung aller ihrer Elemente, deren Zusammenspiel eine ungeheure Vielfalt gegensätzlicher Erscheinungen entstehen, vergehen und wiederkommen lässt... Der Hang zu einfachen, monokausalen Erklärungen dominiert das Denken. Die Unfähigkeit, das Ganze als Gesamtheit sich gegenseitig bedingender, sich ausschließender und durchdringender Elemente und Seiten der Wirklichkeit zu verstehen, erklärt den desolaten Zustand der bürgerlichen theoretischen Ökonomie...“

Dies kennt man nur allzu gut als methodische Sprechblasen von Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlern, entweder anders oder so ähnlich, vor der Befassung mit den Eigenheiten der ökonomischen oder allgemein gesellschaftlichen Phänomene sich zu versichern, alles  a l s  Zusammenhang zu sehen. Als ob sich nicht mit der Erschließung dessen, was Lohn. Preis, Profit, Kapital der Sache nach s i n d , sich nicht aus deren Bestimmungen ergibt, in welchem bestimmten Zusammenhang sie stehen. - „Monokausale Erklärungen“ sind deswegen auch nicht der entscheidende Punkt, wenn sie in sich stimmig sind.

Endgültig unglaubwürdig wird der eingangs erwähnte großspurige Eindruck eines theoretischen Feldzuges gegen die Irrungen einer Wissenschaft, wenn es heißt:

„...Die Erforschung der Komplexität steht in den Wirtschaftswissenschaften am Anfang. Sie will herausfinden, wie durch die Wechselwirkung der Menschen in Unternehmen, Haushalten, Märkten und Organisationen Ordnungen, Chaos und Zusammenbrüche entstehen, Gleichgewichte und Ungleichgewichte sich ablösen. Sie kann Hinweise geben, wie Wirtschaftspolitik eingreifen, gestaltend wirken und Konflikte vermeiden helfen kann.“

Hier liest man in Artverwandtschaft zum bürgerlichen Pendant die gleichen Kalauer und letzte Antriebskräfte amtlicher Akademiker heraus: Weiß der politische Ökonom sonst von gegensätzlichen ökonomischen Charakteren wie Lohnarbeiter und Kapitaleigner zu berichten, ist hier in Abstraktion davon von den Menschen die Rede, die wechselwirkend(wie denn?) Ordnungen(welche?) und Zusammenbrüche (in welcher Gestalt?) stiftend sich in disparaten Bereichen wie Unternehmen, Haushalten usw. betätigen. Und die Lieblingsmetaphern, die euphemistischen Umschreibungen der Gewaltsamkeiten der kapitalistischen Konkurrenz und deren ungemütliche Konsequenzen statt deren Begriff, Gleichgewicht und Ungleichgewicht, bemüht M. in wohlwollender Weise – die zugleich den Standpunkt der Umsorgung der bürgerlichen Malaise zum Besten geben, mit Wirtschaftspolitik sich positiv gestalterisch dem kapitalistischen Laden zuzuwenden, wo man meinen sollte der Marxsche Kritiker hätte einige fundamentale Einwendungen dagegen aufzubieten.

Ausgerechnet, wo das Marxsche Vorbild an den bürgerlichen ökonomischen Kategorien eine Differenz erklärt, wie diese als objektiver Schein auftauchen  oder praktische Bezugnahme der bürgerlichen Agenten auf ihre Revenuequelle offenbaren und wie es sich bei ihnen begrifflich verhält, bringt der Kritiker K. M. dies auf bloß sich täuschende  Wahrnehmung seitens der Ökonomen herunter:

„In der Ökonomik wimmelt es von Paradoxien.. Der Profit scheint dem Gesamtkapital zu entspringen, doch resultiert er aus dessen variablem Teil, mit dem die Arbeitskräfte entlohnt werden. Der Arbeiter scheint dem Kapitalisten seine Arbeit zu verkaufen und es sieht so aus, als sei der Lohn der Preis für diese Arbeit. Er verkauft aber seine Arbeitskraft und der Lohn ist der Geldausdruck des Wertes der Arbeitskraft. Ihn erhält er unter der Voraussetzung, dass er den vollen Arbeitstag arbeitet. Daher scheint es, als ob er für die ganze und nicht für die kürzere Zeit entlohnt würde, in der er ein Äquivalent seines Tageswertes schafft...“

Dass der Kapitalist als dessen betriebswirtschaftliche Rechnungsweise Rentabilität daran bemisst, wie der Überschuss sich bezogen auf den gesamten Kapitalaufwand verhält, ist das eine: es die praktische Perspektive des Lohnens eines Geschäfts entlang dessen, was insgesamt an Geldaufwand für es eingesetzt wird  – woher der Überschuss entspringt, als Mehrleistung lohnarbeitender Arbeitskraft, ist das andere – welche theoretische Klärung keinen Unternehmer in seinem bornierten Gewinnstreben interessiert und dem Ökonom als Nachzeichnung betriebswirtschaftlichen Handwerkszeugs geläufig ist (siehe die Sache mit der Aufzählung betrieblicher Kennzahlen wie Kapitalrentabilität geschieden nach der fürs Eigen-/Fremd- und Gesamtkapital, Umsatzrentabilität usw.) - wiewohl die Herkunft des Gewinns eigentlich kein Geheimnis ist, vielmehr im betrieblichen Tun betätigt wird: viel Leistung von den Werktätigen abverlangen zu möglichst geringer Bezahlung. Auch hier ein Missverständnis: der Schein, keine bloße Einbildung, dass der Arbeiter für den ganzen Tag bezahlt würde, kommt von der Form der Entlohnung her, ist seinem tatsächlichen Inhalt nach und von der Unternehmenspraxis her die Freiheit des Anwenders von Arbeitskraft, zum gezahlten Lohn über die Zeit in dieser Arbeit abzurufen nach Bedarf des Hauses, wo dann also die Scheidung zwischen „verkürzten“ Wert der Arbeitskraft und geschaffenen Mehrwert für Unternehmer praktisch umgesetzt wird.


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